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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Herrenbekleidungswerke Odermark



Andreas
28.01.2017, 10:04
In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 siedelten die ältesten deutschen Herren-Bekleidungswerke Odermark, die 1851 in Stettin gegründet
wurden, nach Goslar über. In Stettin wurden Eisenbahnwaggons für den Transport der Maschinen in den Harz organisiert. Mitarbeiter und deren
Familien folgten und man traf sich in Goslar.

Zum Neuanfang in Goslar hatte man noch keine eigenen Betriebsräume, produziert wurde zunächst in den Räumen eines Goslarer
Einzelhandelsgeschäfts, später im „Forsthaus“ an der Clausthaler Straße und schließlich in einem Stockwerk des Hauses Karstadt.

Die ersten eigenen Produktionsräume entstanden auf einer Wiese mit zwei Fußballtoren vor dem Breiten Tor, direkt an der Bahnlinie
Goslar - Bad Harzburg. Die Bauarbeiter mussten sich auf der Wiese gegen eine Schafherde behaupten …

Bereits 1947 erreichte man mit 300 Beschäftigten eine Monatskapazität von 1500 Herrenanzügen. Damit ist Odermark Goslars bedeutendster
industrieller Zuwachs nach dem Zweiten Weltkrieg.

http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16263&d=1485594243
Das neue Stammhaus an der Okerstraße um 1960, Foto Stadtarchiv

1948 beziehen die Bekleidungswerke den Neubau an der Okerstraße vor den Toren der Stadt. Das Unternehmen wuchs stetig und man expandierte,
1952 wird ein Zweigwerk in Salzgitter-Bad eröffnet. Weitere Werke später in Clausthal-Zellerfeld, SZ-Lebenstedt, Bremen und Wolfsburg.

Durch die günstige Lage an der Bahnstrecke ließ sich eine direkte Anbindung realisieren – die Firma bekommt einen eigenen Bahnhof
„Haltepunkt Odermark, Goslar“, der am 02.01.1956 eingeweiht wurde.

http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16270&d=1485601387
Haltepunkt Odermark, Quelle: http://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?17,7828810

Das Wirtschaftswunder lässt die Produktionsräume an der Okerstraße schnell zu klein werden,
am 13.10.1956 wurde der Neubau „Das Hochhaus“ eingeweiht.

Orientierungsplan
http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16268&d=1485600742

http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16269&d=1485600743

Eine Stadt für sich
Eigener Bahnhof, eigene Buslinien für die Mitarbeiter – auch sonst gab es im Werk alles wie in einer Kleinstadt: von der großen Kantine bis hin zum
Betriebsarzt. Dem Unternehmen ist sehr am Wohle der Mitarbeiter gelegen. Betriebssportgemeinschaften und der Odermark-Klub an der Berliner
Allee stehen den Mitarbeitern und ihren Familien zur Verfügung. 1958 wird das Odermark-Klubheim eingeweiht.

Die vorbildlichen sozialen Leistungen tragen erheblich zum Erfolg des Unternehmens bei. Nicht nur die betriebliche Altersvorsorge wird aus der
Firmenkasse finanziert, man förderte ebenso den Wohnungsbau, insbesondere Eigenheime.

Schon 1960 ist Odermark das größte Herrenbekleidungswerk des Kontinents.

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Das „Hochhaus“ nach der Fertigstellung

In den 60er Jahren kommen viele Gastarbeiter in den Harz, viele - meist Frauen - kommen bei Odermark unter. Italienerinnen, Spanierinnen und
später auch Türkinnen. Für die Gastarbeiter gibt es eigens einen Ansprechpartner im Unternehmen.

1965 fertigen etwa 4500 größtenteils weibliche Beschäftigte täglich 4000 Anzüge, Sakkos, Mäntel und Hosen.
Dafür verarbeitete man täglich 15 Kilometer Oberstoffe.

1974 - die Ölkrise trifft auch Odermark. Wochenweise muss ein Teil der noch 2600 Beschäftigten Kurzarbeit einlegen. Alleine im November sackte
der Umsatz um 20 Prozent gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres. Versuche, die Krise mit qualitativ hochwertigen Sonderangeboten zu überwinden,
zeigen leider nur geringen Erfolg.

Das krisengeschüttelte und inzwischen insolvente Unternehmen wird 1979 von Brinkmann übernommen. Nach dem Konkurs und der Neugründung heißt
das Unternehmen seit 1980 „Odermark Bekleidungswerke Brinkmann GmbH & Co. KG“. Viele Mitbewerber waren gegen eine Übernahme durch Brinkmann
und wollten die Kapazität von Odermark gerne vom Markt verschwinden lassen. Durch die Freistellung von Rentenansprüchen, Landesbürgschaften, die
Zonenrandförderung sowie Verkauf und Vermietung von Immobilienbesitz konnte Brinkmann das Unternehmen erfolgreich sanieren.

Um am Markt bestehen zu können, wurde die Produktion im Laufe der Jahre teilweise ins Ausland verlegt. 1995 wird die Inlandsproduktion, die bisher noch
bei 50 Prozent lag, auf 20% gedrückt. Erneut verlieren viele Mitarbeiter Ihren Arbeitsplatz. Am Ende des Jahres sind noch 400 Beschäftigte im Unternehmen
tätig. Zur Sicherung des Standortes - Goslar wurde für 13 Mio. DM eine neue Lager- und Versandhalle gebaut.

http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16265&d=1485599697
Das „Hochhaus“ mit seiner ursprünglichen Fassade, die leider einer schnöden, blauen Blechfassade weichen musste.

Bis zum Jahr 2003 ist Odermark wieder eines der bedeutendsten europäischen Unternehmen für Herrenoberbekleidung. Man beschäftigte 280 Mitarbeiter,
wovon 20 für die neue, exklusive Marke „Lescalier“ eingestellt wurden.

Ende 2007 trennte sich das Unternehmen von rund 90 Mitarbeitern – ein Drittel der Belegschaft! 170 Mitarbeiter verbleiben im Unternehmen.

Die schwere Weltwirtschaftskrise ab 2008 und die anhaltend negative Entwicklung führen 2009 zu einer Restrukturierung in der Brinkmann-Gruppe.
Die unrentable Produktlinie Odermark wird zur Saison Herbst/Winter 2010/2011 ein-gestellt. Die bisherigen Odermark-Label Atelier Torino und Corpus Line by
Odermark wechseln zum Brinkmann-Standort Northeim. In Goslar verbleiben lediglich Logistik und Qualitätssicherung, 60 von noch 110 Arbeitsplätzen fallen weg.

2010 arbeiten nur noch ca. 60 Mitarbeiter bei dem traditionsreichen Unternehmen, das einst über 4500 Beschäftigte zählte, welches der größte Arbeitgeber der
Stadt Goslar und Bekleidungshersteller Europas war.

http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16272&d=1485602337
http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16271&d=1485602335
2011, das Hochhaus ist nur noch eine leere Hülle

2011 Wurden das Hochhaus und die Flachbauten entkernt und ab 2012 komplett abgerissen. Übrig blieb nur der Altbau, in dem sich unter anderem AOK
befindet. Der östliche Teil des Altbaus wurde komplett umgebaut und beherbergt heute neben einem Lebensmittel-Discounter und einem Drogeriemarkt auch
die kläglichen Reste des Unternehmens Odermark - ein kleines Outlet.

http://www.goslarer-geschichten.de/attachment.php?attachmentid=16273&d=1485602830
Mehr blieb nicht, nur der kleine Laden am Odermarkplatz

Maria
28.01.2017, 15:27
Odermark ist eine eigene Geschichte für sich. Viele der Arbeiterinnen waren im Herzberghaus untergebracht.
16274
Wie früh nach dem Krieg hier aufgebaut wurde zeigt auch dieses Bild (wohl 1947). Im Hintergrund ist noch das Haus Wilhelm Buschstraße zusehen, auf das ein englischer Jagdflieger gestürzt war, es ist noch nicht wieder aufgebaut.
Maria

Bergmönch
28.01.2017, 19:49
Der Vater eines meiner Klassenkameraden war in den 70er-Jahren beim Zoll. Sein Büro befand sich jedoch nicht im Zollamt, sondern bei Odermark.

Beste Grüße

Bergmönch

bergland
31.01.2017, 21:51
Video aus besseren Zeiten : https://www.youtube.com/watch?v=8jk0ldhUZxw


https://www.youtube.com/watch?v=8jk0ldhUZxw

Andreas
19.12.2017, 14:45
wohl um 1950, noch ohne das Hochhaus. Für die damalige Zeit war das schon ein gewaltiges Werk

16838

Zenon
20.12.2017, 19:14
Schöne Film vom Damals Danke Schön

lindnerin
24.06.2018, 10:03
Hallo zusammen,
in den 1980ern habe ich mehrere Monate als Praktikantin bei Odermark Rockteile zusammengenäht. Danach habe ich in Möchengladbach Textiltechnik studiert. Meine Diplomarbeit habe ich über die Geschichte der Textilindustrie im Raum Mönchengladbach geschrieben.
Seitdem beschäftigt mich der Fortgang und Untergang der Textil- und Bekleidungsindustrie in Deutschland.
Als geborene Harzerin möchte ein Portrait über Odermark als einem namhaften Unternehmen der Herrenoberbekleidung und einem der wichtigsten Arbeitgeber in Goslar erstellen.
Daher suche ich nach Menschen, die mal bei Odermark gearbeitet haben und mir etwas darüber erzählen möchten.
Vielleicht gibt es ja in diesem Forum auch andere, die sich mit diesem Aspekt der Goslarer Geschichte beschäftigen, und/oder die jemanden kennen, der sich damit beschäftigt?
Ich freue mich auf Antworten
Andrea Lindner

Bergmönch
25.06.2018, 16:49
Hallo und herzlich willkommen!

hier hast Du ja sicherlich schon geguckt:

http://www.goslarer-geschichten.de/showthread.php?2309-Herrenbekleidungswerke-Odermark&highlight=odermark

Beste Grüße

Bergmönch

lindnerin
28.06.2018, 16:00
Glück auf Bergmönch,
Vielen Dank für die Antwort. Den Beitrag von Andreas hatte ich schon gesehen. Davon angeregt werde ich auf jeden Fall auch Mal das Goslarer Stadtarchiv besuchen.
Besonders spannend wäre es aber, Leute zu finden, die Mal bei Odermark gearbeitet haben und darüber was erzählen können. Wer mittendrin war und die Entwicklung hautnah mitbekommen hat, hat zumeist noch Mal eine andere Perspektive als das was man in alten Büchern und Zeitungen lesen kann.
Ich hatte gehofft, über die Goslarer Geschichten vielleicht jemanden zu finden, der jemanden kennt.
Vielleicht findet sich ja noch jemand.
Viele Grüße in den Harz
Andrea

Bergmönch
28.06.2018, 17:09
Vor 3 Jahren hätte ich noch auf meine spanische Nachbarin verweisen können. Die ist aber inzwischen wieder nach Hause gezogen.

Beste Grüße

Bergmönch

Maria
29.06.2018, 08:31
Hallo Andrea,
der Goslarer Cemil Algan, geboren in der Türkei, hat drei Jahre bei Odermark gearbeitet und ein Buch geschrieben. "Zugvögel mit ermüdeten Flügeln". er lebt in Goslar und ist sicher über c.algan@yahoo.de zu erreichen.
Mit harzlichen Grüßen
Maria

claus
28.01.2019, 18:19
Hallo Andrea,
ich bin erst seit heute registriert und gleich auf deinen Beitrag gestoßen. Habe von 1963 bis 1970 bei Odermark gearbeitet. ( incl. Ausbildung) Vielleicht kann ich ja helfen.?
Dazu müsstest du vielleicht den Themenkreis, der dich besonders interessiert, spezifizieren. Im Gegenzug würde mich deine Abhandlung über die Textilindustrie in MG interessieren, da ich besonders die früher in dem Raum ansässigen Tuchfabriken noch gut kenne. Viele Grüße aus Lüneburg Claus:):)

zeitzeugin
31.01.2019, 09:28
Hallo Andrea,
meine Mutter hat bei Odermark gearbeitet, von 1952 bis zur Auflösung der Firma.
Was möchtest du denn genau wissen?
Viele Grüße.
Erika

Odermärker
03.07.2019, 14:11
Hallo Andrea,
ich habe mich vor kurzem hier angemeldet, bin Bj. 65, habe von 82-84 dort Ind.-Kfm. gelernt und war dann bis 2001 in verschiedenen Abteilingen und Positionen dort tatig.
da Dein Post schon 1 Jahr alt ist, weiß ich leider nicht, ov Du noch interessiert bist..., VlG Uli

Old Man
13.10.2021, 00:16
Hallo Andrea,
habe erst heute Deinen Aufruf, Deine Anfrage bezgl. Odermark gelesen. Deshalb kurz nachgefragt ob Du denn schon Dein Porträt über Odermark geschrieben hast, bzw. ob Du zahlreiche Personen gefunden hast?
Falls noch Interesse besteht, dann melde Dich.
Ich war von 1974 bis 1980 als kfm. Angestellter da am werkeln und habe noch einige Original Unterlagen. Fotos von Kollektionen usw.
Beste Grüße
Matthias

Old Man
13.10.2021, 00:27
Vielen Dank für die Fotos und das klasse Video !!!

Maxe 27
15.10.2021, 15:10
Liebe Forumgemeinde,

zunächst einmal danke für den Werdegang der Firma Odermark in Wort und Bild am Beginn dieses Themenbereichs.

Die folgenden Bilder, die ich eigentlich im Thema "Verschwundene Unternehmen" zeigen wollte, passen natürlich hier viel besser her. Das erste von insgesamt 3 Aufnahmen, die allesamt im Mai 1984 entstanden sind, zeigt den Odermark-Komplex von der Okerstraße aus. Der Odermarkplatz ist noch nicht umgebaut und in den Altbau ist bereits die AOK eingezogen.

https://abload.de/img/img385hsjq4.jpg (https://abload.de/image.php?img=img385hsjq4.jpg)


Das 2. Bild entstand an der Straße Petersberg im Bereich der Eisenbahnbrücke über die Abzucht und zeigt den rückwärtigen Teil der Herrenkleiderwerke.

https://abload.de/img/img3863tjpj.jpg (https://abload.de/image.php?img=img3863tjpj.jpg)


Der Odermark-Haltepunkt ist im Mai 1984 längst stillgelegt, der kleine Bahnsteig ist jedoch noch vorhanden.

https://abload.de/img/img387nfjie.jpg (https://abload.de/image.php?img=img387nfjie.jpg)


28 Jahre später, am 18. März 2012, ist der Hochhaus-Komplex eingezäunt und sieht seinem Abriss entgegen.

https://abload.de/img/img_4038gfjnv.jpg (https://abload.de/image.php?img=img_4038gfjnv.jpg)


Auf dem letzten Foto, das ich am 15.04.2012 aufgenommen habe, blicken wir bereits auf das entkernte Gebäude.

https://abload.de/img/img_4087fgjcy.jpg (https://abload.de/image.php?img=img_4087fgjcy.jpg)


Herzlichst Maxe 27

nobby
16.10.2021, 16:13
Hallo Maxe 27, hallo admin,

vielleicht wäre nicht so ganz falsch den gesamten Inhalt unter „Verschwundene Unternehmen" zu posten.

Viele Grüße

nobby