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Wolfgang
27.07.2012, 11:55
Im Juli 1988 erschien in der Goslarschen Zeitung (Rraktionskürzel „pew“) ein größerer Artikel über die Geschichte von heidnischen Hagelfeuern und christlichen Erntefürbitt-Gottesdiensten unter der Überschrift „Heiligern Johannes, bitte schütze unsern Leib und Gut“.
Der Text soll hier ungekürzt und unkommentiert in vollem Wortlaut wiedergegeben werden und beginnt mit dem Text eines Liedes:
„Und wenn die Donner schallen, dass alles saust und kracht, die grellen Blitze fallen in deinem Zorn und Macht, so wollst du uns bewahren, halt uns in deiner Hut, dass uns nichts widerfahre, an unserm Leib und Gut.
Zu allen Zeiten haben Menschen die himmlischen Mächte um Schutz gebeten. So ist auch dieses Lied auf die gewaltigen Stürme, die vor einigen Tagen in dieser Region wüteten. Vielmehr textete es ein gewisser Martin Brehm bereits im Jahre 1604. Als Nr. 377 ist es im Evangelischen Kirchengesangbuch verzeichnet und wird den Pastoren für den Erntebitt-Gottesdienst empfohlen. Nicht Erntedank, nein, Erntefürbitte ist gemeint.
Selbst ein junger Pastor muss erst einmal nachschlagen, wenn es um Erntefürbitte geht, denn diese Gottesdienste oder Messen gibt es heute kaum noch. Doch die Älteren erinnerten sich jetzt. „Ja, früher, da hatten wir im Sommer eine Hagelfeier und die Schüler bekamen an disem Tag sogar frei“, berichtete der ehemalige Kirchenrat Walter Deppe aus Wolfshagen. Seiner Meinung nach war es der braunschweigische Herzog Anton Ulrich, der nach einem schrecklichen Unwetter anordnete, dass ein bestimmter Tag im Juni als Hagelfeiertag, wie ihn der Volksmund nannte, einzuführen sei. „Die Nazis haben ihn dann abgeschafft“, erzählt Deppe.
Um der Geschichte der Hagelfeiern auf die Spur zu kommen, wälzte Wolfshagens Ortsheimatpfleger Herbert Noffke seinen alten Brockhaus aus dem Jahre 1902. Wie zu vermuten war, ist die Tradition dieses Brauchs noch viel älter als ein paar hundert Jahre. Unter „Hagelfeuer“ fand er folgendes: ’Im germanischen Kult die Sitte, vor Beginn des Sommers heilige Feuer zu entzünden, durch die Hagel- oder Gewitterschäden von den Feldern ferngehalten werden sollten’. Weiter heißt es dass die Hagelfeuer eine Unterart der Johannesfeuer seien und in der Regel Mitte Juni stattfanden. In einigen katholischen Ländern seien sie auf den 26. Juni festgelegt, wo die Heiligen Johannes und Paulus als Abwehrer von Hagel und Unwetter angefleht würden. Dass das Ganze ein Überbleibsel alter Opferkulte war, zeigt der Satz ‚In das Feuer warf man Tiere oder Eier und dergleichen mehr.’
Vom Forscherfieber gepackt, schaute Noffke nun auch noch nach, was sein alter Brockhaus zu den Johannesfeuern sagt: ... heidnischer, im Volksleben fortlebender Gebrauch, in der Nacht vor Johannes (24. Juni) Feuer anzuzünden, die die bösen Krankheiten und Misswachs bringende Dämonen abwehren sollen.“ Dazu gehörte ein Fackelumzug und ein brennendes Wagenrad, das von einem Berghang gerollt wurde. Strohpuppen, die man in das Feuer warf, deuteten auf alte Opferbräuche hin. Das sollte gegen Viehseuche und Misswachs sowie Hagelschäden helfen. Die Johannesfeuer wiederum seien aus den Notfeuern hervorgegangen, die bereits im 8. Jahrhundert erwähnt worden seien.
Das klingt, als ob selbst Relikte derartigen Dämonenzaubers und Aberglaubens längst der Vergangenheit angehören müssten. Stimmt aber nicht. Toni Noffke, die Frau des Heimatpflegers hat eine solche ‚Heiligenbeschwörung’ noch selbst miterlebt. „Anfang der 30er Jahre wurde bei einem Hagelfeuer in Wolfshagen auch ein Wagenrad angezündet“, erinnert sie sich.
Inzwischen scheint das alles jedoch endgültig vorbei zu sein, niemand entfacht mehr ein Hagelfeuer, kein Schüler bekommt mehr frei, um für eine gute Ernte zu beten. Auch die Kirche, bei der die gläubigen Christen die Möglichkeit hatten, um den Schutz von Leib und Gut zu bitten, kennt die Erntebitte heute kaum noch. Und doch gibt es sie noch vereinzelt. Zum Beispiel in der evangelischen Gemeinde Seesen, wo am 13. Juni ein Erntefürbitt-Gottesdienst stattfand. Der Donner schallte dennoch – nur rund zwei Wochen später.

Artaios
28.07.2012, 17:27
Sehr schön, da schaut man ewig nicht rein und wenn man zufällig vorbei schaut, findet man soetwas. Ich hätte gern mehr davon.