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Umweltprobleme in der Kriegsproduktion
Die Firma Borchers war von ihrem Werksgelände in der Glockengießerstraße (heutiger Standort der Goetheschule) erst 1924 an ihren heutigen, schon um die Jahrhundertwende als Dependance begründeten Standort nach Oker umgezogen, weil sie in der Innenstadt Goslars aus Umweltschutzgründen keine Baugenehmigung mehr erhielt.
Bald kam es auch am Standort Oker zu ersten Protesten und Beschwerden der Anwohner.
Unter dem 2.8.1924 beschwert sich der Gaststättenbesitzer August Komoll, Goslarsche Str. 70, bei der Kreisdirektion Wolfenbüttel, dass die seinem Hause unmittelbar gegenüberliegende Chemische Fabrik Borchers immer stärkere Umweltauswirkungen habe. Der seinem Grundstück vorgelagerte Abfallberg verseuche das Trinkwasser der Anlieger; das Kochen und Spülen sei mit diesem Wasser nicht mehr möglich.
Am 7.8.1925 meldeten die Feldgeschworenen der Gemeindeverwaltung Oker, dass in Gärten von Anwohnern Obst und Gemüse im Wert von 180,- RM durch „Abdämpfe der Chemischen Fabrik Gebr. Borchers“ geschädigt worden wären.
Dies war der Beginn einer langen Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Anwohnern, Arbeitenden und der Firma Borchers um die umwelt- und gesundheitsschädlichen Folgen der Produktion.
Ein eindrucksvolles Dokument über die Umweltauswirkungen des Betriebes liefert die Niederschrift einer Verhandlung der Fabrik mit den angeblich geschädigten Anliegern, die am 22.10.1926 im Bahnhofshotel Oker stattfand.
Der 1926 gegründete Heimatschutzverein Oker e.V. hatte als vordringliches Ziel, die durch die Chemiebetriebe am Ort entstehenden Umweltbelastungen einzudämmen. Sogar in Zeiten der NS-Diktatur war der Verein rege und aktiv. Er hatte auch allen Grund dazu. Borchers/Starck expandierten als Teil des Ofensauenkonsortiums nach 1935 kräftig; die Belegschaft wurde 1936 verdreifacht. .....
BROCKHAUS et al. (1981) berichten von massiven Beschwerden der Anwohner des Werksgeländes in den dreißiger Jahren: "Ein Öffnen der Fenster ist ... überhaupt nicht möglich, aber der beizende Geruch dringt auch durch Tür- und Fensterritzen hindurch. Von den Ärzten in Oker wurde mitgeteilt, daß besonders im letzten Jahr ein gehäuftes Auftreten von Erkrankungen der Haut und der Schleimhäute beobachtet wurde ... Schlecht heilende Hautausschläge, lang dauernde Katarrhe der Luftwege sind an der Tagesordnung. Es ist ärztlicherseits auch weiterhin festgestellt worden, daß die Kinder in diesem Ortsteil nicht recht gedeihen. Sie sehen blaß aus und bleiben körperlich zurück, leiden an Blutarmut und Appetitlosigkeit."
..... wenn dies aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht möglich ist, müssen die 200 Familien aus diesem Ortsteil entfernt werden. Der Ortsteil ist in diesem Fall zu entvölkern; werden derartige Maßnahmen nicht in allerkürzester Zeit ergriffen, bin ich der Überzeugung, daß die in Frage kommenden Familien in gesundheitlicher Hinsicht zugrunde gerichtet werden." ....
Wie die Arbeitsbedingungen im Betrieb gewesen sind, erschließt sich nur aus den Klagen und Protesten der Anwohner und den Gutachten amtlicher Stellen; betriebsinterne Dokumente hat die Firma bislang nicht zur Verfügung gestellt.
Im Frühjahr 1939 hatte die Preußische Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene nach Beschwerden von Bewohnern ein Umweltgutachten erstellt, das der Goslarer Stadtbaurat Karl Schneider in einem Vermerk vom 17.5.1939 wie folgt zusammenfasste: "Nach dem Gutachten ... über die von der Chem. Fabrik Gebr. Borchers A.G. in Oker ausgehenden Abgaseinwirkungen sind für Klagen über Nachbarbelästigungen von allen Teilbetrieben lediglich die Anlage für Wolframsäure und metallisches Wolfram verantwortlich zu machen. Die Ausscheidung von Arsen aus der Arsenhütte und Chlor aus der Kobalt-Nickellaugerei soll durch entsprechende Maßnahmen unterbunden bezw. auf das zulässige Maß herabgesetzt sein. Vorausgesetzt ist dabei, daß die entsprechenden Schutzvorrichtungen auch tatsächlich eingeschaltet sind. Bei der Arsenanlage z.B. wurde wiederholt früher die Vermutung ausgesprochen, daß nicht immer, namentlich des nachts, die vorgeschriebenen Filter vorgeschaltet seien. ... Auf alle Fälle erscheint es mir zweckmäßig, weitere Anlagen, die die Nachbarschaft belästigen, innerhalb der jetzigen Borchers’schen Anlagen nicht mehr zuzulassen." .......
Die Lehrer einer Schule, die in dem betroffenen Gebiet liegt, wollen künftig den Unterricht ausfallen lassen, bei starker Vergasung. Der Wille zum Kind erstickt hier immer mehr, denn welche Eltern könnten es vor ihrem Gewissen verantworten, unter solchen Umständen Kinder aufwachsen zu lassen. Die beiden Fleischerläden der Galgheitstraße sind ebenfalls oft mit Rauch und Gas angefüllt, so dass die Kunden dieser Geschäftsleute bald darauf verzichten, ihren Bedarf hier zu decken! Ein Öffnen der Fenster und Durchlüften der Zimmer ist nicht möglich, nur bei dem hier selten strömenden Ostwind. .....
Es soll der einzige Betrieb dieser Art in Deutschland sein und die Produkte sollen wehrwirtschaftlich eine wichtige Rolle spielen. Es soll von oben gewünscht werden, dass die Produktion immer mehr und mehr gesteigert werden möge ......
Die Umweltbelastungen müssen extrem gewesen sein, wenn sich unter der NS-Diktatur eine Koalition von Anwohnern, Ärzten, NSV, DAF, Bürgermeister und Landrat gegen die Firma Borchers gebildet hatte. Aufgrund dieses Drucks beauftragte der Leiter der Reichsstelle für Wirtschaftsaufbau in Berlin am 24.8.1939 das Institut für Medizinische Chemie und Hygiene der Universität Göttingen damit, ein „Gutachten über die Wirkung der von der chemischen Fabrik Gebr. Borchers A.G. ausgehenden Fabrikgase auf den Ortsteil Unter-Oker in Oker (Harz)“ zu erstellen. Und dies wenige Tage vor Beginn des 2. Weltkriegs, in einer Zeit, da Rüstungsproduktion höchste Priorität hatte, Störungen des Produktionsablaufs schnell den Sabotagevorwurf und damit massive Strafverfolgung nach sich ziehen konnten!
In dem 59 Seiten umfassenden Gutachten kommen die Professoren Schütz (Hygiene) und Schoen (Innere Medizin) zu der Auffassung, dass es „eindeutig bewiesen (sei), daß von der Borchers’schen Fabrik Belästigungen ausgehen, die zu einer ‘erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit’ führen, ja, zu ‘Vergiftungszuständen, die als chronische Gesundheitsgefährdungen anzusprechen sind.“
Das Gutachten hält eine Verbesserung des Emissions- und Immissionsschutzes nicht für möglich. Da „andererseits eine Erhaltung, ja, eine Vergrößerung des Werks gerade in der heutigen Zeit unbedingt von allen Seiten gefordert werden muß“, wird empfohlen, die Erweiterung des Werks an anderer Stelle vorzunehmen und „dann das alte Werk nach und nach in neue, einwandfrei gebaute Fabrikhäuser“ umziehen zu lassen. .....
ZWANGSARBEITEREINSATZ: Der Firma waren die nach dem Überfall auf die Tschechoslowakei ankommenden Fremdarbeiter gerade recht. Fast 80 waren es im Frühjahr 1939. Sie mussten untergebracht werden, doch Baumaterial war knapp. Weil aufgrund einer Forderung der Hitlerjugend Goslar der Bau eines neuen HJ-Heims (der heutigen Goslarer Jugendherberge) anstand, erwarb die Firma von der Stadt die alte Jugendherberge, zerlegte sie und baute sie im Schleeke als Ledigenwohnheim wieder neu auf. Borchers war derjenige Goslarer Betrieb, der die meisten Fremd- und Zwangsarbeiter, männliche wie weibliche, während des Krieges beschäftigte; insgesamt 823 Menschen mussten hier unter übelsten Bedingungen arbeiten und leben. Erschütternde Details stammen von überlebenden Zeitzeugen (SCHYGA, JACOBS & KNOLLE 1999).
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Die Kriegswichtigkeit der Borchers-Produktion war von den Alliierten möglicherweise erkannt worden; am 22.2.1945 legten alliierte Bomber einen Teil der Pflanzenschutzabteilung (!) in Schutt und Asche; dabei kamen allein auf dem Borchers-Areal 15 Personen ums Leben. ....(BREUER 1995, SCHYGA 1999).
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