Ergebnis 1 bis 6 von 6

Thema: Hahnenklee im Dritten Reich – Erinnerungen an die Kindheit

Baum-Darstellung

  1. #3
    Wasserknecht Avatar von curiosus2
    Registriert seit
    09.12.2012
    Ort
    Wuppertal
    Beiträge
    7
    Danke
    1
    29 Danke für 6 Beiträge erhalten

    Beitrag Hahnenklee im Dritten Reich – Erinnerungen an die Kindheit

    Einmarsch

    Mit der kampflosen Einnahme des Ortes durch das 333. Amerikanische Infanterieregiment am 11. April 1945 war für die Bewohner von Hahnenklee der Krieg zu Ende.

    Im Postgebäude erwartete man den Einmarsch der Amis. Ein Hausgenosse hatte die Nachricht verbreitet, dass deren Kampftruppen bereits Clausthal–Zellerfeld eingenommen hätten. Doch wusste niemand nichts Genaues. Meine Mutter wirkte gefasst. Sie war zwar stiller als gewöhnlich, aber, wie mir schien, von einer bestimmten Erwartung erfüllt. Vormittags hatte sie Vaters „Nazizeug“, wie sie sein Parteibuch und den Schinken „Mein Kampf“ nannte, entsorgt, d.h. in unserem Kohleofen verbrannt. Vermutlich wurde auch der Kriegsverdienstorden ein Opfer ihrer Vernichtungswut, weil er danach nie wieder auftauchte. Mein Vater hatte zu alledem nichts gesagt, er brütete, während meine Mutter die Zeugnisse seiner „politischen Verstrickung“ in den Ofen warf, etwas angestrengt in seinem Lieblingssessel vor sich hin. Mir hatte die Mutter schon vormittags verboten, nach draußen zu gehen. Also schlich ich von Fenster zu Fenster, bald einen Blick aus dem Küchenfenster auf den Posthof werfend, auf dem der rote Postomnibus stand, der noch vor der Besetzung von Goslar zu uns herauf gekommen war, bald einen neugierigen Blick aus dem Fenster unseres Wohnzimmers auf die Straße vor unserem Haus riskierend. Die Nazi-Herberge Deutsches Haus, sonst ein Ort überschäumender Betriebsamkeit, lag wie erstarrt da. Beim Betrachten der Straße, auf der es gewöhnlich lebhaft zuging, sich aber nun gar nichts mehr regte, bedrängte mich ein beklemmendes Gefühl, das durch die Stille, die seit dem Ende der Kampfhandlungen wie eine Haube über unserem Ort lag, noch um einiges verstärkt wurde.

    Jäh zerreißt nerviges Kettengerassel die lautlose Stille. „Kommen jetzt die Panzer?“ erschaudert der Junge. Schon schiebt sich der erste langsam in sein Blickfeld, danach der zweite, bald rasselt ein halbes Dutzend dieser stählernen Ungeheuer am Haus vorbei die Straße hinunter. Aber was ist das? Er traut seinen Augen nicht und seine Befangenheit weicht rasch der Neugier, als er auf den Tanks bunte Schachteln entdeckt, die zu Pyramiden gehäuft vor und hinter den Panzertürmen liegen. Es sind, wie er sieht, Schokotafeln und Zigarettenpäckchen. Schokolade und Zigaretten als ein Teil der psychologischen Kriegsführung? Den Panzern folgen die Fußsoldaten. Sie halten ihre MPs und Sturmgewehre auf die Fenster und die Eingänge der Gebäude gerichtet. Alle Fenster sind zugesperrt. Noch vor der Inbesitznahme des Ortes hatten die Amis Flugblätter abgeworfen, in denen sie die Einwohner aufforderten, während der Besetzung des Ortes die Fenster geschlossen zu halten, auf geöffnete Fenster werde ohne Vorwarnung geschossen. Wenig später durchsuchen zehn Soldaten alle Diensträume des Postamt. Danach fordern sie mit schussbereiter Waffe im Anschlag rabiat Einlass in die Wohnungen. Gleich drei Amis stürmen in die Diele, drängen seinen Vater, der ihnen die Tür öffnete, zur Seite, durchsuchen die Küche, den Wintergarten und danach die Wohnung von Günters Mutter und die seiner Eltern. Dem Jungen wird schon etwas anders, als er die wilden Geräusche aus der Diele hört. Und sein Herz schlägt erst recht höher, als plötzlich ein baumlanger dunkelhäutiger Soldat mitten in ihrem Wohnzimmer steht. Der schwarze Riese sieht in seiner Kriegsmontur wirklich zum Fürchten aus. Anscheinend ist ihm seine Wirkung auf den Jungen nicht verborgen geblieben, denn er sagt mit rauer Stimme: “Do not Angst, I habe in America ein Junge in your age. Krieg is the worst for all Kinder!” *) Bevor er den Raum verlässt, schenkt er ihm einen Riegel Blockschokolade. Nachdem die Soldaten alle Wohnungen durchsucht haben, befehlen sie den ins Treppenhaus beorderten Hausgenossen, Quartiere für die Nacht bereitzustellen. Der Befehl löst allgemein Missmut aus, was den Amis nicht entgeht; ihr Ton wird gleich um einiges aggressiver. Retterin in der Not ist einmal mehr Eikes Mutter. Auf Englisch bittet sie die Soldaten, sie möchten doch in der geräumigen Wohnung des Amtsvorstehers nächtigen. Darin sei für sie alle Platz. Der Leiter sei ein Nazi gewesen. Die Soldaten akzeptieren ihre Bitte und marschieren geschlossen in Sperlings Wohnung, wo sie die Nacht über blieben.

    *) diese Überlieferung habe ich von meinen Eltern!

  2. Danke von:

    Hanno (07.01.2013),Monika Adler (07.01.2013),Strippenzieher (07.01.2013)

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •  


Dieses Forum ist komplett werbefrei und wird ausschließlich privat finanziert.

Um auch in Zukunft ohne Werbebanner und nervige Pop-Ups auszukommen,

würden wir uns über eine kleine Spende sehr freuen.