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Thema: Hillebille

Baum-Darstellung

  1. #1
    Moderator Avatar von Bergmönch
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    Lächeln Hillebille

    An anderer Stelle (Goslarer Anekdoten) hatte ich bereits die launige Rubrik "Hillebille" erwähnt, die jahrzehntelang immer Samstags in der GZ erschien. Verfasser war der goslarer Kinderbuchautor Hans W. Ulrich, der dort auf humoristische Weise aktuelle Tagesthemen behandelte. Besonders gerne mochte ich immer Beiträge in denen seine Freunde Bulke und Tante Agathe vor kamen, weil die goslärsche Mundart sprachen und manchmal sogar das hiesige Platt.

    Mittlerweile hatte ich die Gelegenheit einige Hillebille-Ausgaben durchzusehen. Im Jahr 1969 erschien die Reihe bereits zum tausendsten mal und konnte auf ein 20-jähriges Bestehen zurückblicken. Die Jubiläumsausgabe beinhaltet dann auch eine Rückschau auf die Stadtgeschichte von 1949 bis 1969. Viele der erwähnten Sachen gibt es nicht mehr, wie die "Adamsche Sammlung", das "Jagd- und Forstmuseum" im Mönchehaus oder das "Haus der Tiere und Exoten" in der Münzstraße. Auch der Neubau der AOK-Verwaltung in der Zehntstraße wird mittlerweile bekanntlich anders genutzt.

    Der Artikel enthält so viele Dinge und ist so goslärsch, dass er, meiner Meinung nach, unbedingt in dieses Forum gehört. Leider ist meine Kopie so mangelhaft, dass ich sie nicht im Original einstellen konnte, sondern abschreiben musste. Die alte Rechtschreibung habe ich belassen:



    Wieder einmal saßen wir in Tante Agathes gemütlichem Altdamenstübchen mit den Biedermeiermöbeln, den Alpenveilchen vor den Fenstern und dem Duft nach Kaffee und Kuchen, während der Harzer Edelroller, Hänschen, seine Koloraturen in die schrägen Sonnenstrahlen schmetterte, die durch die blütenweißen Gardinen fielen.
    Mein Freund Bulke hatte sich, wie er bemerkte, ,,sau’n dicken Glimmstengel ins Gesichte gestochen" und sagte: „Nu schraaben wir all 1969. Wenn man so retuhr denkt, wie es vor zwanzig Jahren in Goslar aussah, denn waaß man nich, wo die Zaat geblieben ist."
    „Ja, da haben se, waaß Gott, recht inne", sagte Tantchen und goß uns einen Likör ein.
    „Es war dazumah aane böse Zaat, wenn auch das Schlimmste all hinter uns lag. Aber wir hatten noch Lebensmittelkarten, und es fehlte an all und jedem. Unser Gasherd hatte kaanen Druck, es Wasser war man knapp, die Häuser voller Familien gestoppt, und in den Anlagen standen alte Luftschutzbunker. Es gab kaane Autobusse, die Straßenbeleuchtung war man klaterig, unsere Stadthalle abgebrannt und viele waren arbaatslos. Auch mit dem Essen war's mau. Ja, gewiss, wir brauchten nicht mehr nachts um zwaae baam Roßschlächter anstehen, um Klocke viere abgelöst werden, denn nochmah um sechse wieder ablösen, bloß um so'n Pfund Pferdeflaasch zu kaufen. Später war denn auch unser Erspartes weg, und wir fingen wieder mah von vorne an."
    ,,In jenen Jahren war die Kaiserpfalz nicht zu besichtigen", sagte ich, „Touristen kamen nicht nach Goslar. Die Tommys hatten die Berge abgeholzt, und wir kungelten Äpfel gegen Zucker und Rübensirup gegen Zigaretten. Von Kühlschränken, Waschmaschinen oder vom Fernsehen war noch keine Rede. Wenn man das den jungen Menschen heute erzählt, Tantchen, denn sagen die: Der Olle spinnt!"
    ,,Ja, das mögen se woll sagen", fiel Tante ein. ,,dazumal lebte noch Oberbürgermeister Klinge und viele tüchtige Männer. Ja, und dann fingen sie, an den Flugplatz zu bebauen. Odermark kam in Gang, die Arbaatslosigkaat wurde weniger, und alles langsam besser."
    Bulke sagte: „Denn gingen se baa und bauten die Sudmerberg- und Georgenbergschule, der Theresienhof wurde Krankenhaus, die Banderzaufberaatunge am Gelmketal fing an, Gesundhaatsamt und Berufsschule wurden errichtet und es Gymnasium angebaut. Hernach waren wir wieder Garnisonsstadt. Och, das ging bärenmäßlg schnell. Bis dahin durften unsere Kinder man knapp mit Zinnsoldaten spielen.“
    „Ja, man wagte gar nicht Schwertlilien, Rittersporn und Eisenhut zu pflanzen, weil das militaristische Blumen waren", sagte ich.
    ,,Und denn bauten se es erste Hochhaus am Ginsterbusch“, setzte Tante die Aufzählung fort, „der neue Friedhof wurde eröffnet, und in dem Jahr schmiß der Sturm in'ner Viertelstunde 10 000 Festmeter Wald um.”
    ,,Nä, das war erst 1960! Aan Jahr später wurde unsere alte „Blaache" Umschulungswerkstätte. Denn bauten die Nordharzer Kraftwerke, wir wurden waaßer Kraas, se rissen die Kaserne in‘ner Zehntstraße ab un bauten da die AOK-Verwaltunge, denn kam die Domkaserne dran, und die Post montierte ihren Turm ab. - Ich Dölmer kucke aus alter Gewohnhaat da immer noch rauf! Die Südtangente wurde fertig, allerwärts gab es Neubaugebiete, am Rosenberge, am Kuhlenkamp, an der Baßgaage, baa Kramerswinkel und am Marienbad. Se bauten die Riechenberger Spange und später die Nordtangente mitsamt der Arschkarton-Brücke. Alle Ausfallstraßen wurden verbraatert. Hallenbad und Stadtsparkasse wurden eröffnet, wir kriegten neben den Adamschen Sammlungen noch aan Jagd- und Forst-Museum und aans for wilde Tiere. Das Mühlrad am Klapperhagen drehte sich wieder, und aufs letzte kam das Glockenspiel am Marchte."
    Vergessen Se nich das Pressehaus", sagte Tantchen. ,,Bald jedes Geschäft baute um, riß die lütjen Schaufenster raus und machte große raan. Bloß die Kinos wurden weniger, dafor bekamen wir aber zwaa Dutzend Knaapen mehr! Ne masse Bäume haben se umgehackt.“
    ,.Aber die Kußlinde steht noch", rief Bulke. „Noch anne letzte Säule zeugt von vergang’ner Pracht ...! Denkt ihr da noch an, wie der Schornstaan von'ner Brauerraa - oder war's von der Badehalle - so qualmen tat? Och, das s war ’ne Bärenschande! Dazumal lebte Martin Raack noch. Alle kannten 'ne und mochten ’ne gern.“
    ,,Ja, und Sie, Herr Hillepille", sagte Tantchen, ,,haben über alle diese Sachen geschrieben.“
    ,,Ja, und heute genau das tausendste Mal.“
    ,,Nun kucken Se mah hin! Ich maane, zwanzig Jahre, das is doch'n Stück Stadtgeschichte, nich?“
    „Ja, gewiß. Es war nicht immmer, leicht, das können Sie mir glauben. Oft fühlten sich auch einige auf dem Schlips getreten, aber ich habe auch manchen Lesern Freude machen können, das beweisen die Zuschriften, So Gott will, kann ich kann ich noch eine Weile weiterschreiben.“
    „Ich habe mir, die maasten Artikels aufgehoben", sagte Tante, „aanige habe ich verpumpt un nich retuhr gekriegt, manche verpoltert. Ich will sie mir aanbinden lassen.“
    „Das machen Se man, Tantchen“, sagte Bulke, „wenn hei dode is, haben Se glaach 'n schönes Andenken.“ „Sie sollten sich was schämen", rief Tante Agathe, „durch ihn sind Sie erst so’ne Art Lokalgröße geworden!“
    „Na, Sie viellaacht nich, Tante?"
    „Um nochemah auf alte Zaaten zurückzukommen: Der Bahnübergang is uns erhalten geblieben. Möglicherwaase ändert das der Bundesverkehrsminister. Er kommt ja Ende des Monats nach Goslar.“
    „Ach du maane Güte“, sagte Bulke, „da haben all mehrere Minister vorgestanden, mit den Köppen genickt und gesagt, das müßte anderster werden, und alles ist baam alten geblieben.“
    „Eines Tages wird auch das geregelt sein“, sagte ich, „und eine Stadthalle werden wir auch haben.“
    „Na ich maane der neue Oberstadtdirektor wird sich da woll hinterklemmen“, meinte Tante und Bulke setzte hinzu: „Sau lichte is dat man nich, aber eck mutt seggen, wenn 'n sau daober nachdenket, wat sei in twintig Jahren maket un anneschafft hebbet, denn mutt man die Kulpen un et Muhl uprieten un seggen: Fuhl sind sei nich e'west! Stimmt's oder hebbe eck recht?“
    (GZ: 18.01.1969)


    Beste Grüße

    Bergmönch
    Geändert von Bergmönch (19.05.2012 um 11:46 Uhr)
    Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll. (Lichtenberg)

  2. Danke von:

    Eule (01.12.2013),gonzens (15.01.2017),jazzbassist (27.04.2021),Luzi (22.01.2017)

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