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† 05.04.2014
Der Schatz auf dem Bocksberg
Der Schatz auf dem Bocksberg
Gelegentlich tragen Sagen einen nicht leicht zu entdeckenden wahren Kern in sich. Oft sind sie in Büchern versteckt, in denen man sie gar nicht vermutet. Ein solches Buch von Burckhard Garbe ist „Sagen zwischen Harz und Weser“ aus dem Jahre 2002, erschienen in der ersten Auflage im Prolibris Verlag in Kassel.
Darin steht die wenig bekannte Geschichte „Der Schatz auf dem Blocksberg“. Sie soll aus dem Dunkel des Vergessenseins herausgezogen werden. Zwar liegt die in ihr geschilderte Handlung schon lange zurück, hat aber dennoch heutigen Leserinnen und Lesern noch etwas zu erzählen. Doch lassen wir den Verfasser selbst berichten,
Vor längerer Zeit kamen aus dem fernen Italien viele Venezianer oder Venediger nach dem Harze. Und wen dieses verwunderte, dem erklärte man, sie seien sehr gute Kenner der Erze und geübte Bergbauer. Überdies seien sie klug und verschlagen, hätten den gutartigen und leichtgläubigen Harzern schon so manchen Streich gespielt, und immer seien sie mit reichen Schätzen aus dem Harz wieder in ihre Heimat zurückgefahren.
Einmal wohnten drei miteinander befreundete Bergleute in Hahnenklee, jeder mit seiner Familie in einem kleinen Bergmannshaus; bei denen logierten von Zeit zu Zeit Venezianer, die brachten aus Italien allerlei Tropfen, Pülverchen, Salben und Tabletten mit, die gegen viele Krankheiten wirksam waren, und sie verdienten gut an diesem Geschäfte. Und doch merkten die Bergleute, dass dies nicht ihr eigentliches Begehr war, fragten sie doch jedes Mal, ob nicht vor ihnen schon andere Venezianer hier gewesen wären und hätten den Bocksberg besucht. Und war das zu bejahen, schien es ihnen nicht recht zu sein, konnten sie das verneinen, so war ihre Freude groß. Es musste sie wohl auch nach dem Bocksberge ziehen.
Dann waren die Venezianer wieder einmal da, hatten sich wie immer erkundigt und machten sich in dann einer Vollmondnacht nach dem Bocksberge auf. Und die Bergleute waren nun so voller Neugier, dass einer von ihnen den Italienern heimlich nachschlich. Vom Hauptweg ging es auf Nebenwegen, und zog es die Venezianer zu einer abgelegenen Stelle unter einen Kastanienbaum. Hier begannen sie zu graben, dass ihre Schaufeln im Monde wie Silber blinkten, und sie gruben lange und tief, und dann schaufelten sie in ihre Taschen und Beutel. Der Späher merkte sich noch einmal genau die Stelle und lief dann zurück; denn er wollte vor ihnen zuhause sein. Am folgenden Tage reisten die Logiergäste ab,
und die drei Bergleute brannten vor Neugier und wollten noch an diesem Abend die nämliche Stelle am Bocksberge untersuchen und dort nachsehen, was es da zu holen gäbe. Ja, sie träumten bereits von großem Reichtume, den sie da finden würden. Aber auf einmal sagte der eine Bergmann:
„Ich gehe nicht mit:
Was mir Gott hat zugedacht,
Das wird mir ins Haus gebracht“.
Die beiden anderen Freunde versuchten, ihn zu überreden, sprachen von dem Spaß, den es machen müsste, im Boden die Schätze selbst zu finden, allein, er hatte seinen Entschluss gefasst und fuhr zur Arbeit in den Berg. Die anderen beiden aber eilten zum Bocksberg, und der Späher zeigte dem Freund die Stelle unter dem Kastanienbaum. Im Schein ihrer Grubenlichter suchten sie an dem Platze, aber ohne Erfolg. Schließlich wollen sie aufhören und ihr Arbeitsgerät zusammenpacken, da schlug der eine von ihnen enttäuscht noch einmal kräftig zu, sie hörten einen Ton, und der andere rief: „Hier liegt etwas!“ Also fingen sie noch einmal zu graben an, und was brachten sie nach oben? Ein Gerippe, das konnte von einem Reh, aber auch von einer Ziege stammen.
Unzufrieden waren sie schon gewesen, jetzt waren sie sehr enttäuscht. Und doch der andere über den einen spotten, das er sich über den Ton so hatte täuschen lassen. Da packte den einen der Galgenhumor, und er sagte: “Von dem Vergnügen soll unser Kamerad aber auch seinen Anteil haben, lass uns ihm das Gerippe in sein Haus bringen. Er arbeitet im Bergwerk, seine Frau liegt schon zu Bette, die Türen sind offen, so werden wir es ihm ungesehen in die gute Stube legen.“
Sie sammelten die Knochen zusammen, und sie brachten wirklich das Gerippe in das Haus ihres Freundes und legten hier den Schädel auf den Tisch, da ein Schulterblatt auf ein Schränkchen, ein anderes kam auf die Fensterbank, mit Rippen belegten sie zwei Stühle, Teile des Rückgrats kamen auf die Bank usw., und von da machten sie sich auf ins Bergwerk. Hier fanden sie ihren Kameraden noch bei der Arbeit, und er hatte in ihrem Stollen mit Schlägel und Eisen sehr viel geschafft. Als er sie kommen sah und hörte, fragte er: „Na, habt ihr nun euer Schäfchen auf dem Trockenen? Ich denke, ihr braucht nie wieder mit eurem Gezähe zu arbeiten.“ Die aber antworteten: „Lass deinen Spott, du hast Recht, auch wir wären besser mit dir eingefahren und hätten fleißig geschafft.“ Dann arbeiteten sie bis um Mitternacht, machten dann Schicht, und begaben sich zusammen nach Hause, und jeder ging in sein eigen Haus.
Als der dritte Bergmann, der nicht auf dem Bocksberge gewesen war, mit brennendem Grubenlicht sein Haus betrat und in die Stube kam, fasste ihn die Verwunderung; denn über den Raum verteilt standen und glänzten lauter schöne Tierfiguren aus purem Golde und Silber: Hirsche, Rehe, Wildschweine, Kühe, Kälber, Pferde, Ziegen, Vögel und viele andere. Er staunte sehr und fand großes Entzücken an ihnen, und nahm eine kleine Statue nach der anderen in die Hände und wunderte sich über ihr Gewicht und die Schönheit ihrer Ausführung. Dann ging er zu Bett und dachte: „Meine Frau wecke ich nicht, es genügt, wenn sie in der Frühe dies Wunder sieht.“
Am Morgen stand die Frau auf, sah in der Stube die Schätze aus Silber und Gold, lief zurück in die Kammer zu ihrem Mann, weckte ihn und fragte: „Wo in aller Welt hast du diese Sachen gefunden?“ Der aber öffnete nur ein Auge und antwortete kurz: „Das hat mir mein Gott ins Haus bringen lassen“, drehte sich wieder um und schlief weiter.
Nach einiger Zeit stand er auch auf, wusch sich setzte sich an den Frühstückstisch; da kamen seine beiden Freunde voll schlechten Gewissens um die Hausecke und vermuteten, er wolle sie nun ihres gestrigen Unfugs wegen zur Rede stellen. Aber, o Wunder, er machte kein unwirsches Gesicht, sondern ein heiteres und fröhliches, ja, glücklich trat er zu ihnen und strahlte: „Freunde, so wie ich es vorhergesagt habe, ist es nun eingetroffen. Und hat mir mein Gott gewaltige Schätze ins Haus bringen lassen. Tretet ein, jeder von euch wird seinen Anteil davon erhalten.“
Darauf öffnete er ihnen die Tür zur Stube; sie schauten und standen, ohne sich zu bewegen Konnten sie ihren Augen trauen? Dann sagte er: „Du, Freund, bekommst diesen Teil, du, Freund, diesen zweiten. Ich behalte Teil, dann hat ein jeder von uns einen solchen Schatz, dass er nie wieder Schlägel und Eisen gebrauchen und unter Tage fahren muss.
Beschämt bedankten sich beide bei dem dritten Kameraden für das gewaltige Geschenk und fragten sie ihn endlich, was er denn mit dem Gerippe angestellt habe. Doch wusste er von einem Gerippe nichts. Da berichteten sie ihm, wie es bei der Schatzsuche auf dem Bockberge so zugegangen und wie sie ihm das Gerippe ins Haus gelegt. Er aber wollte davon nichts hören und entgegnete: „Das macht nichts.“
Nun sammelte jeder seine Tierfiguren zusammen und schleppte sie nach Hause; denn eines jeden Reichtum wog gewaltig schwer. In späterer Zeit haben die drei Bergleute die goldenen und silbernen Tierfiguren nach Goslar verkauft, und auch der Herzog von Braunschweig hat einige davon erhalten. Sie bekamen so viele Taler dafür, dass sie wirklich reiche Leute wurden und lebenslang blieben.
Und seit der Zeit ist kein Venezianer mehr auf dem Bocksberge angetroffen
worden. Eine Sage aber verheißt, die Schätze im Bocksberg werden nun so lange ungreifbar bleiben, bis hundert Jahre lang kein vierbeiniges Tier den Bocksberg betreten. Da aber werden wir, glaube ich, noch lange zu warten haben.
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