Kürzlich konnte ich das Heft „Ausgrabungen und Bodenfunde im Stadtgebiet von Goslar (II)“ antiquarisch erwerben. Es wurde 1964 vom Geschichts- und Heimatschutzverein Goslar e. V. herausgegeben. Autor ist H.-G. Griep. Die Broschüre enthält, unter anderem, einen Bericht über die Wiederentdeckung der Thomaskapelle. Den Beitrag finde ich so interessant, dass ich ihn zu einer kurzen Geschichte dieser, heute verschwundenen, Pfarrkirche umgearbeitet habe.
Im Mittelalter hatten Dome, Stifts und Klosterkirchen üblicherweise nicht das Recht Taufen, Kommunionen, Hochzeiten oder Beerdigungen vorzunehmen. Diese sog. Parochialrechte waren den Pfarrkirchen vorbehalten. Man baute deshalb in der Nähe von Großkirchen oft Kapellen, auf die das Pfarrrecht übertragen wurde. Auf diese Weise konnten die, mit Privilegien und Einnahmen verbundenen geistlichen Handlungen, vorgenommen werden. Im goslarer Dombezirk hatte die Thomaskapelle diese Funktion als Gemeindekirche für viele Jahrhunderte inne und war so mit dem Goslarer Dom eng verbunden.
Geschichte der Thomaskapelle
2. Hälfte des 11. Jahrhunderts:
Nach Befunden des Mauerwerks entstand die Thomaskapelle etwa zeitgleich mit der Pfalz und dem Dom.
Um 1180:
Erste urkundliche Erwähnungen von St. Thomas.
1530:
Einführung der Reformation in der Thomasgemeinde.
1566:
Alle gottesdienstlichen Handlungen werden künftig direkt im Dom vorgenommen. Die Thomaskapelle steht leer.
1789:
Die Kapelle wird einige Jahre von der katholischen Gemeinde genutzt, bis dieser die Jakobikirche zur Verfügung gestellt wird.
http://www.goslarer-geschichten.de/a...0&d=1517762281
1814:
Der Arzt Dr. Johann Christian Borchers erwirbt das Gebäude, um darin ein „scheidekünstlerisches Kabinett“ einzurichten. Die Thomaskapelle ist deshalb als die Keimzelle der chemischen Fabrik der Gebrüder Borchers anzusehen.
1819:
Der Dom wird abgerissen.
1840:
Die Thomaskapelle wird wegen Baufälligkeit abgerissen.
1959:
Bei Bauarbeiten zur Verbreiterung der oberen Glockengießerstraße werden, an der Ecke Wallstraße, die Fundamente der Thomaskapelle angeschnitten. Um diesen Zufallsfund auswerten zu können, wird eine Notgrabung vorgenommen. Ziel ist es, die Südwand und den Chorabschluss freizulegen. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Kapelle keinen Chorraum hatte. Auch ein Altarfundament wurde nicht gefunden.
Die Kapelle war ein schlichtes Gebäude mit einer Grundfläche von 12,5 x 6,5 m. Die Wände hatten eine Dicke von 1,20 m. Sie waren, wie Ulrichs-Kapelle und Dom, aus Kalk- und Rogensteinen gemauert, hatten also ein rot-weißes Aussehen. Abbildungen zeigen in der Südfassade 3, vermutlich ursprünglich gotische Fenster. Über dem Westgiebel befand sich ein achteckiges Türmchen, das, wie auch das Dach, mit Schiefer beschlagen und gedeckt war. Der Eingang in die Kapelle befand sich vermutlich an der Südseite. Bei der Grabung wurden zahlreiche Gräber mit angeschnitten. Diese lagen nicht nur auf dem angrenzenden Friedhof (heute Parkplatz), sondern auch unter dem Fußboden der Kapelle. Dieser bestand aus hochkant gestellten Sandsteinen und einer dünnen Schicht aus Kalkestrich, der teilweise von den Vitriolsalzen der Borcherschen Fabrik grün gefärbt war.
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Die Abbildung zeigt die Glockengießerstraße in ihrer ursprünglichen und heutigen Breite (gestrichelt) , sowie die Lage der gefundenen Gebäudereste, Mauern und Gräber.
Die Fundamente der Kapellennordwand und der nördlichen Friedhofsmauer wurden beim Ausbau der Straße als Stützmauern wieder aufgemauert. Ein Rest von Goslars kleinster Pfarrkirche ist also auch heute noch zu sehen.
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Quellen:
H.-G. Griep: „Ausgrabungen und Bodenfunde im Stadtgebiet Goslar (II)“, 1964
Luftbild: Ausschnitt aus Google Earth kombiniert mit bearbeiteter Skizze von H.-G. Griep aus o. g. Buch