28.04.1969
ARCHITEKTUR / HANNOVER-MESSE
Heim auf der Halle
....
Gegen Hitzschlag und Ermüdung sollen vom nächsten Jahr an auch die Aussteller (dieses Jahr: 5276) gefeit sein, und sogar für Höhenwanderung wird gesorgt werden: auf dem Dach der "Halle 17 neu".
Wie in den letzten Jahren werden sich auch diesmal noch die strapazierten Aussteller, um sich zu erholen zu Löwenbräu und Haxe in die "Münchner Halle" drängen oder über verstopfte Straßen in ihr Stadtquartier quälen. In Zukunft brauchen sie statt dessen nur im Lift aufs Dach zu fahren ins eigene Heim.
Die Idee, das Flachdach der neuen Halle 17, die derzeit für 45 Millionen Mark auf einer Grundfläche von 80 000 Quadratmetern errichtet wird, nicht -- wie zunächst geplant -- mit parkenden Autos, sondern mit rund tausend Bungalows zu befrachten, kam dem Dipl.-Ing. Ernst Pätzold, 58, Vorstandsmitglied der "Deutschen Messe- und Ausstellungs-AG" zu Hannover, in einer "stillen Stunde zu Hause".
Die Verwirklichung schien zunächst schwierig: Die marktgängigen Fertighelme waren entweder zu teuer, zu schwer oder nicht feuersicher. Zudem erweckten erste Modellzeichnungen den Eindruck eines Barackendorfes. Betrachter fanden: "Scheußlich, eine Zigarrenkiste neben der anderen."
Eine praktikable Lösung offerierte schließlich das "Junior-Werk" in Goslar, das bereits die Fenster für den "Langen Eugen" in Bonn und die Fassade am Dreh-Restaurant des Hamburger Fernsehturms geliefert hatte. Die Junior-Leute schlugen vor, die Dachappartements sechseckig nach dem sogenannten Trelement-Bausystem zu errichten.
Das Goslarer Fertigbau-System entstand, wie Trelement-Verkaufsleiter Hans-Ulrich Kleist formulierte, "aus der Idee, die Vorteile der völlig individuellen Gestaltung mit denen der Fertigteilbauweise zu verbinden". Kernstück des Trelement-Systems ist
* eine Aluminium-Tragkonstruktion aus wenigen standardisierten Bauteilen, die ebenso wie Wände, Fußböden, Decken, Türen und Fenster vorgefertigt werden, sowie
* ein Grundrißraster aus lauter gleichseitigen Dreiecken, die als "Baukasteneinheiten" wie Waben miteinander kombiniert werden können.
So ergeben beispielsweise sechs solcher Dreiecke (Seitenlänge: 2,30 Meter), um einen gemeinsamen Mittelpunkt gruppiert, einen Sechseckraum von 13,8 Quadratmetern Größe -- Kernzelle auch bei den Messedach-Bungalows. Architekten, so auch der hannoversche Diplomingenieur Ernst-Friedrich Brockmann, der die neue Messehalle plante, loben die Sechseck-Idee: "So ein dem Kreis angenäherter Raum hat immer etwas Harmonisches, Fließendes, Menschliches -- im Gegensatz zur kubischen Form."
Zudem sollen sich, da es keine 90-Grad-Zimmerecken gibt, in den fast runden Sechsecken mit ihren 120-Grad-Winkeln "entscheidende Vorteile für die Raumnutzung ergehen" (Kleist) -- ganz abgesehen von einem psychologischen Nutzeffekt: Die gegegenüberliegenden Wände eines Sechsecks stehen weniger nah beisammen als die Wände eines rechteckigen Zimmers gleicher Fläche, die Räume wirken dadurch größer, als sie eigentlich sind.
Die "gänzlich neue Vielgestaltigkeit" dieser Bauweise, so erläuterte Kleist, sei mittlerweile mehrfach erprobt. Im neuen Sechseck-Stil wurden bereits in Goslar ein Kindergarten, in Celle ein Wohnhaus, in Salzgitter ein Vortragssaal und in Frankfurt das Büro einer Werbeagentur errichtet. Tankstellen, Schwimmhallen und sogar eine sechseckige Trauerhalle sind in der Planung.
Die hannoverschen Dach-Sechsecke sollen mit Vorraum, Sanitärraum und Wohn-Schlaf-Appartement 23 Quadratmeter groß sein und je nach Ausstattung zwischen 11 000 und 15 000 Mark kosten. Der Baugrund auf dem Dach kostet zusätzlich 4000 Mark für fünf Jahre. Bislang größter Abnehmer ist die Siemens AG, sie bestellte gleich zehn Bungalows.
...