Geschichte und Bedeutung
der Treutmann-Orgel in Grauhof
Als Christoph Treutmann 1734 mit dem Bau der Orgel in der Stiftskirche St. Georg in Grauhof bei Goslar begann, war er bereits Mitte sechzig, wohlhabend, weithin als Orgelbauer bekannt und gerühmt, trotz seines reifen Alters voll auf der Höhe der Zeit und aufgeschlossen für deren Neuerungen. Die Chorherren im Kloster Grauhof, gleichermaßen selbstbewusst und wohlhabend und von dem Wunsch nach einem höchsten Ansprüchen gerecht werdenden Instrument beseelt, wussten dies sicher zu schätzen, als sie den Vertrag mit Treutmann schlossen. Treutmann seinerseits wusste zu schätzen, dass ihm hier in der neuerbauten, für norddeutsche Verhältnisse einzigartigen dreischiffigen Barockkirche mit ihren hervorragenden akustischen Voraussetzungen eine ganz besondere Möglichkeit der Selbstverwirklichung im Orgelbau gegeben war. So entstand in dreijähriger Bauzeit bis 1737 das größte und aufwändigste Instrument dieses Orgelbauers, sozusagen sein Vermächtnis an die Nachwelt. Eine glückliche Fügung wollte es, dass gerade dieses Hauptwerk Treutmanns alle Wechselfälle der Zeiten bis heute in seiner Grundsubstanz unverändert überdauert hat.
Einige wesentliche Stilelemente der Grauhofer Orgel fasst ein Kenner des Instruments so zusammen: "War in Norddeutschland die Aufstellung der verschiedenen Orgelwerke in räumlich voneinander getrennten Gehäusen noch lange üblich, findet sich in Grauhof wie auch schon in einigen Silbermann-Orgeln eine gewisse Verdichtung des Orgelklanges durch die Integration der Werke hinter eine auch für den Betrachter als Einheit empfundene Orgelfassade. Neben einer auch im norddeutschen Orgelbau üblichen Schiebekoppel vom Oberwerk zum Hauptwerk ist eine als Registerzug konzipierte Koppel mit Stechermechanik vom Hinterwerk zum Hauptwerk vorhanden, sodass man alle drei Werke zusammen spielen kann oder auch nur das Oberwerk und das Hinterwerk zusammen, was relativ neu für die damalige Zeit war. Treutmann verwendete auch so genannte Streicher. Die erhaltenen zarten Register Viola da Gamba 8' und 16' im Hauptwerk haben eine sehr elegante, etwas überirdische Wirkung, die auch im Zusammenspiel mit anderen 8'-Registern sehr charaktervolle Klangfarben erzeugt. Hier zeigt sich ein Einfluss, der aus weiter östlich gelegenen Gebieten herrührt. Ein besonderer Effekt konnte an dieser Orgel auch durch das Klaviaturglockenspiel erzeugt werden, das der Erfurter Meister Buttstadt lieferte."
Dieses Glockenspiel, ein besonders aufwändiges Accessoire und zunächst besonderer Stolz der Grauhofer Chorherren, wurde bereits 1848 als nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprechend ausgebaut und wartet noch auf die Rekonstruktion. Im Übrigen aber hat die Generalrestaurierung der Orgel in den Jahren 1989 bis 1992 alle wesentlichen Bauelemente erhalten oder originalgetreu erneuert. Dabei wurde besonders viel Sorgfalt auf die Wiederherstellung des originalen Klangbildes verwandt.
Das Grauhofer Instrument mit 42 Registern und rund 2 500 Pfeifen auf drei Manualen und dem Pedal erweist sich heute wieder besonders geeignet für die Interpretation des umfangeichen kompositorischen Werkes von Johann Sebastian Bach. Der große Leipziger Thomas-Kantor liebte vor allem die ihm aus seiner thüringischen Heimat vertrauten Streicher-Register. Bach-Interpreten, die den Klangvorstellungen des Meisters nahe kommen wollen, schätzen daher die Grauhofer Orgel besonders. Organisten und Orgelbauer reisen aus aller Welt an, um diese Orgel als eines der bedeutendsten nahezu original erhaltenen Werke der Bach-Zeit kennen zu lernen. Sie dient häufig für Rundfunk- und CD-Aufnahmen, lockt alljährlich viele Besucher aus nah und fern zu den Konzerten des Grauhofer-Orgel-Sommers an allen Sonntagen der Monate Juli und August und bringt sie bei Erklingen des 32'-Posauen-Bass auch in den Genuss eines Plenumklanges, den ein Zeitgenosse Treutmanns so beschrieb: "...dass es einem in der Luft grummelenden Donnerwetter nicht gar ohnähnlich verglichen werde mögte."