In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 siedelten die ältesten deutschen Herren-Bekleidungswerke Odermark, die 1851 in Stettin gegründet
wurden, nach Goslar über. In Stettin wurden Eisenbahnwaggons für den Transport der Maschinen in den Harz organisiert. Mitarbeiter und deren
Familien folgten und man traf sich in Goslar.
Zum Neuanfang in Goslar hatte man noch keine eigenen Betriebsräume, produziert wurde zunächst in den Räumen eines Goslarer
Einzelhandelsgeschäfts, später im „Forsthaus“ an der Clausthaler Straße und schließlich in einem Stockwerk des Hauses Karstadt.
Die ersten eigenen Produktionsräume entstanden auf einer Wiese mit zwei Fußballtoren vor dem Breiten Tor, direkt an der Bahnlinie
Goslar - Bad Harzburg. Die Bauarbeiter mussten sich auf der Wiese gegen eine Schafherde behaupten …
Bereits 1947 erreichte man mit 300 Beschäftigten eine Monatskapazität von 1500 Herrenanzügen. Damit ist Odermark Goslars bedeutendster
industrieller Zuwachs nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das neue Stammhaus an der Okerstraße um 1960, Foto Stadtarchiv
1948 beziehen die Bekleidungswerke den Neubau an der Okerstraße vor den Toren der Stadt. Das Unternehmen wuchs stetig und man expandierte,
1952 wird ein Zweigwerk in Salzgitter-Bad eröffnet. Weitere Werke später in Clausthal-Zellerfeld, SZ-Lebenstedt, Bremen und Wolfsburg.
Durch die günstige Lage an der Bahnstrecke ließ sich eine direkte Anbindung realisieren – die Firma bekommt einen eigenen Bahnhof
„Haltepunkt Odermark, Goslar“, der am 02.01.1956 eingeweiht wurde.
Haltepunkt Odermark, Quelle: http://www.drehscheibe-online.de/for...php?17,7828810
Das Wirtschaftswunder lässt die Produktionsräume an der Okerstraße schnell zu klein werden,
am 13.10.1956 wurde der Neubau „Das Hochhaus“ eingeweiht.
Orientierungsplan
Eine Stadt für sich
Eigener Bahnhof, eigene Buslinien für die Mitarbeiter – auch sonst gab es im Werk alles wie in einer Kleinstadt: von der großen Kantine bis hin zum
Betriebsarzt. Dem Unternehmen ist sehr am Wohle der Mitarbeiter gelegen. Betriebssportgemeinschaften und der Odermark-Klub an der Berliner
Allee stehen den Mitarbeitern und ihren Familien zur Verfügung. 1958 wird das Odermark-Klubheim eingeweiht.
Die vorbildlichen sozialen Leistungen tragen erheblich zum Erfolg des Unternehmens bei. Nicht nur die betriebliche Altersvorsorge wird aus der
Firmenkasse finanziert, man förderte ebenso den Wohnungsbau, insbesondere Eigenheime.
Schon 1960 ist Odermark das größte Herrenbekleidungswerk des Kontinents.
Das „Hochhaus“ nach der Fertigstellung
In den 60er Jahren kommen viele Gastarbeiter in den Harz, viele - meist Frauen - kommen bei Odermark unter. Italienerinnen, Spanierinnen und
später auch Türkinnen. Für die Gastarbeiter gibt es eigens einen Ansprechpartner im Unternehmen.
1965 fertigen etwa 4500 größtenteils weibliche Beschäftigte täglich 4000 Anzüge, Sakkos, Mäntel und Hosen.
Dafür verarbeitete man täglich 15 Kilometer Oberstoffe.
1974 - die Ölkrise trifft auch Odermark. Wochenweise muss ein Teil der noch 2600 Beschäftigten Kurzarbeit einlegen. Alleine im November sackte
der Umsatz um 20 Prozent gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres. Versuche, die Krise mit qualitativ hochwertigen Sonderangeboten zu überwinden,
zeigen leider nur geringen Erfolg.
Das krisengeschüttelte und inzwischen insolvente Unternehmen wird 1979 von Brinkmann übernommen. Nach dem Konkurs und der Neugründung heißt
das Unternehmen seit 1980 „Odermark Bekleidungswerke Brinkmann GmbH & Co. KG“. Viele Mitbewerber waren gegen eine Übernahme durch Brinkmann
und wollten die Kapazität von Odermark gerne vom Markt verschwinden lassen. Durch die Freistellung von Rentenansprüchen, Landesbürgschaften, die
Zonenrandförderung sowie Verkauf und Vermietung von Immobilienbesitz konnte Brinkmann das Unternehmen erfolgreich sanieren.
Um am Markt bestehen zu können, wurde die Produktion im Laufe der Jahre teilweise ins Ausland verlegt. 1995 wird die Inlandsproduktion, die bisher noch
bei 50 Prozent lag, auf 20% gedrückt. Erneut verlieren viele Mitarbeiter Ihren Arbeitsplatz. Am Ende des Jahres sind noch 400 Beschäftigte im Unternehmen
tätig. Zur Sicherung des Standortes - Goslar wurde für 13 Mio. DM eine neue Lager- und Versandhalle gebaut.
Das „Hochhaus“ mit seiner ursprünglichen Fassade, die leider einer schnöden, blauen Blechfassade weichen musste.
Bis zum Jahr 2003 ist Odermark wieder eines der bedeutendsten europäischen Unternehmen für Herrenoberbekleidung. Man beschäftigte 280 Mitarbeiter,
wovon 20 für die neue, exklusive Marke „Lescalier“ eingestellt wurden.
Ende 2007 trennte sich das Unternehmen von rund 90 Mitarbeitern – ein Drittel der Belegschaft! 170 Mitarbeiter verbleiben im Unternehmen.
Die schwere Weltwirtschaftskrise ab 2008 und die anhaltend negative Entwicklung führen 2009 zu einer Restrukturierung in der Brinkmann-Gruppe.
Die unrentable Produktlinie Odermark wird zur Saison Herbst/Winter 2010/2011 ein-gestellt. Die bisherigen Odermark-Label Atelier Torino und Corpus Line by
Odermark wechseln zum Brinkmann-Standort Northeim. In Goslar verbleiben lediglich Logistik und Qualitätssicherung, 60 von noch 110 Arbeitsplätzen fallen weg.
2010 arbeiten nur noch ca. 60 Mitarbeiter bei dem traditionsreichen Unternehmen, das einst über 4500 Beschäftigte zählte, welches der größte Arbeitgeber der
Stadt Goslar und Bekleidungshersteller Europas war.
2011, das Hochhaus ist nur noch eine leere Hülle
2011 Wurden das Hochhaus und die Flachbauten entkernt und ab 2012 komplett abgerissen. Übrig blieb nur der Altbau, in dem sich unter anderem AOK
befindet. Der östliche Teil des Altbaus wurde komplett umgebaut und beherbergt heute neben einem Lebensmittel-Discounter und einem Drogeriemarkt auch
die kläglichen Reste des Unternehmens Odermark - ein kleines Outlet.
Mehr blieb nicht, nur der kleine Laden am Odermarkplatz